Ein Herz schlug durch den Eisernen Vorhang

Liebe, Politik und Abenteuer stellen die Kulissen zu einem der interessantesten Romane unserer Zeit. Als D-Zug 185 vor einigen Wochen mit tschechischen Widerstandskämpfern den Eisernen Vorhang bei Wildenau durchbrach, reisten unfreiwillig auch eine Reihe von tschechischen Schulmädchen mit. In der Münchner Illustrierten lesen wir eine Geschichte, wie eine von ihnen, eine 16jährige Schülerin, einige Tage später – in ihrer Lunge noch die Luft der Freiheit – nach der Tschechoslowakei zurückkehrte, um kurz darauf freiwillig mit ihrem 16jährigen Freund zusammen in die Freiheit zu fliehen. – Zdena Hyblova ist die Tochter eines Kaufmannes aus Asch, zwei Kilometer vor der deutschen Grenze. Zu Hause, wie auch im Internationalen Pfadfinderbund, dem sie angehörte, war sie zu Aufrichtigkeit, Selbstbewusstsein und freier Meinungsäußerung erzogen worden. Dann aber griff das kommunistische Regime auch in ihr junges Leben ein. Da sie dem kommunistischen Jugendverband SCM nicht angehörte, verweigerte man ihr den Eintritt ins Realgymnasium. Erst nach einem schweren Kampf dufte sie doch die höhere Schule besuchen. Zdena hatte gesiegt, aber ihr Konflikt blieb. Bald machte es ihr die tschechische Schulreform unmöglich, ihr Abitur zu machen. Ihr Wunsch, einmal zu studieren, konnte nicht mehr in Erfüllung gehen. – Vor zwei Jahren lernte sie Kamil Kvapil kennen. Auch Kamil konnte das Gymnasium aus politischen Gründen nicht besuchen. Er will Maschineningenieur werden. Beide empfanden eine starke Antipathie gegen das kommunistische Regime; davon abgesehen, sahen sie aber auch keine Zukunft in ihrem Vaterland. Als Zdena am 11. September wie gewöhnlich das Gymnasium in Eger verließ, um nach Asch zurückzufahren, „geriet“ sie in den bekannten Freiheitszug. So kam sie nach Deutschland. Nun war sie zwar in der ersehnten Freiheit, aber Kamil war in der Tschechei geblieben. Zdena beschloss zurückzukehren. Nur wenige Tage war sie in Deutschland gewesen. Auch die Sprache verstand sie nicht. Trotzdem wurde sie von dem kurzen Besuch entscheidend beeindruckt. Sie sah die Menschen, die Grenzpolizisten, die Passanten auf der Straße und die Leute in den Geschäften. Sie beobachtete, wie die Arbeiter einer Fabrik am Feierabend in heiterem Gespräch ihre Arbeitsstätte verließen. Sie verstand nicht, was die Menschen sprachen, aber sie hörte die Stimmen, in deren Klang keine Furcht lag. Nach Asch zurückgekehrt, erzählte sie Kamil, was sie gesehen hatte. Kamil verstand. So beschlossen sie zu fliehen. Nach zwei gefahrenvollen Tagen erreichten sie endlich die deutsche Grenze.

[Abschrift des Artikels im Rehauer Tagblatt vom 23. Oktober 1951]