Maria Hammerich-Maier
Die Autorin
Im Jahr 2014 begann ich mit Recherchen über die Gruppenflucht von Menschen aus der Tschechoslowakei mittels der Umleitung des Personenzuges Eger / Cheb – Asch / Aš über die deutsche Grenze nach Selb-Plößberg am Nachmittag des 11. Septembers 1951. Schon bald war in den Massenmedien für dieses Ereignis das Schlagwort vom „Freiheitszug“ geprägt worden. Auch ich verwende den Ausdruck „Freiheitszug“ auf meiner Website - als prägnante Kurzbezeichnung für das hoch komplexe, einmalige historische Ereignis, mit dem er inzwischen im allgemeinen Bewusstsein fest verbunden ist.
In den Jahren 2014 bis 2016 konnte ich im Zuge meiner Recherchen über den Freiheitszug mit Zeitzeugen in Asch, Selb und Prag sprechen. Einige dieser Zeitzeugen waren selbst im Fluchtzug als ahnungslose Fahrgäste mitgefahren; sie waren Schüler des Egerer Gymnasiums, die nach dem Unterricht nach Asch zurückfuhren, wo sie wohnten. Andere Zeitzeugen waren Verwandte von Fahrgästen des Fluchtzuges und von Menschen, die mit diesem Zug in den Westen geflüchtet waren. In Selb-Plößberg konnte ich mit einem ehemaligen Bediensteten der Zollverwaltung sprechen, der am Tag der Zugflucht und in den darauffolgenden Wochen als Krankenvertretung am Bahnhof Selb-Plößberg eingesetzt war. Vor kurzem ergänzte diese älteren Berichte ein Zeitzeuge aus Selb, der den Freiheitszug als achtjähriger Junge miterlebte und seine kindlichen Eindrücke schilderte. Alle diese Berichte erfüllten das lange zurückliegende Ereignis mit Leben und stellten die Bedeutung heraus, die ihm Betroffene und Augenzeugen persönlich beimaßen. Durch Bilder und Dokumente, die von Zeitzeugen aufbewahrt worden sind, traten zudem Fakten zutage, die in den Archivalien und Publikationen nicht erfasst sind. Meine Gesprächspartner waren Rolf Swart, Hans-Joachim Goller, Milena Šnáblová, Jiří Liška, Vlasta Lišková, Pavel Jetleb und Věra Biedroňová.
Als wissenschaftliche Grundlage für meine Recherchen zog ich vor allem die Studie des Prager Militärhistorikers Ivo Pejčoch mit dem Titel „Der Freiheitszug“ („Vlak svobody“) aus dem Jahr 2008 heran; sie ist in Pejčochs Buch „Helden des Eisernen Vorhangs“ („Hrdinové Železné opony“) abgedruckt, das im Verlag Svět křídel (Welt der Flügel) des Egerer Verlegers Arnošt Moucha erschien. Daneben nutzte ich das umfangreiche Material einer populärwissenschaftlichen Arbeit des Lehrers und Publizisten Václav Jiřík, die bereits 1999 in demselben Verlag und unter dem demselben Titel wie Pejčochs Studie erschienen war. Ein kohärentes Bild der Vorgänge im Vorfeld und während der Flucht mit dem Personenzug ergab sich jedoch erst durch die Lektüre der autobiographischen Schriften von Karel Truksa, Jaroslav Konvalinka und Karel Ruml, aktiven Beteiligten der Zugflucht.
Durch die Gespräche mit Zeitzeugen, die erwähnten Publikationen und Archivalien erwarb ich einen Grundstock an Fakten, der es erlaubte, die Spreu vom Weizen zu trennen. Dies erwies sich vor allem bei den Presse- und Rundfunkberichten aus der kommunistischen Zeit als unverzichtbar, bei denen agitatorische und propagandistische Ziele die Fakten überlagerten und in den Hintergrund drängten. Wegen des eingeschränkten Informationsflusses in der Zeit des Kalten Krieges wiesen aber auch viele Presseberichte aus westlichen Medien Lücken und Ungenauigkeiten auf. Die Tatsachenromane über den Freiheitszug von Jaromír Křivan (1969) und Roman Cílek (1988) adaptieren offizielle Deutungsmuster und Bewertungen der historischen Ereignisse und verändern die Fakten zugunsten wirkungsästhetischer Gesichtspunkte. Auf authentisches Material stützt sich hingegen ein Dokumentarfilm des Tschechischen Fernsehens mit dem Titel „Der Freiheitszug“ („Vlak svobody“) aus dem Jahr 2006; das Drehbuch für diesen 13:30 Minuten langen Dokumentarfilm schrieb Luděk Navara, Regie führte Jan Novák. Der Film ist im World Wide Web als YouTube unter dem Link https://www.youtube.com/watch?v=aSfTGhOMnCY aufrufbar.
Meine Recherchen mündeten 2015 in eine dreißigminütige Sendung für den öffentlich-rechtlichen Tschechischen Rundfunk. Bei der Gestaltung des Drehbuchs arbeitete ich mit der Dramaturgin Lenka Svobodová zusammen. Sie regte an, die Sendung als Dokudrama zu gestalten und führte auch bei der Aufnahme Regie. Die Sendung erhielt den Titel „Die Freiheit ist anderswo“ („Svoboda je jinde“). Sie wurde im Rahmen der Sendereihe Guter Wille (Dobrá vůle) im zweiten Programm des Tschechischen Rundfunks (Český rozhlas Dvojka) am 21. Februar 2015 erstmals ausgestrahlt. In den folgenden Monaten und Jahren wurde sie mehrmals wiederholt. Das Dokudrama ist im Archiv des Tschechischen Rundfunks unter dem Link http://www.rozhlas.cz/dvojka/dobravule/_zprava/svoboda-je-jinde--1461462 zu finden. Es kann auch mit Hilfe von Suchmaschinen durch Eingabe des tschechischen Titels „Svoboda je jinde“ und meines Namens im Internet aufgerufen werden.
Im Zusammenhang mit der Wiedereröffnung der Bahnstrecke Selb – Asch im Dezember 2015 rückte der Freiheitszug des Jahres 1951 auch in Oberfranken in den Fokus des öffentlichen Interesses. Vielen älteren Menschen aus Selb und Umgebung hatten sich Bilder der tschechoslowakischen Dampflok mit dem roten Stern und der Menschen in den drei Waggons der Zuggarnitur unauslöschlich ins Gedächtnis eingeprägt. Über die Umstände und Hintergründe dieser Gruppenflucht tschechoslowakischer Bürger war jedoch nur wenig bekannt. Die regionale Presse hatte dazu im September und Oktober 1951 mehrfach berichtet, zu runden Jahrestagen wurden manche dieser Berichte nachgedruckt. Carsten Kunstmann schilderte die dramatischen Ereignisse der Gruppenflucht mit dem Zug im Eisenbahn-Kurier Nr. 2/2007. Ich ließ im Dezember 2015 zwei Berichte zu diesem Thema folgen, die in der Frankenpost bzw. der Prager Zeitung abgedruckt wurden. Die Reaktionen der LeserInnen waren enorm. Ich erhielt zahlreiche Anrufe und Zuschriften, auch Fotos, alte Zeitungsartikel und anderen Materialien aus privaten Sammlungen wurden mir übermittelt. Die große Resonanz veranlasste mich, eine Broschüre von rund 35 Seiten mit dem Titel „Endstation Freiheit“ zu verfassen, in der ich mein Wissen über den Freiheitszug nach dem damaligen Stand meiner Recherchen zusammenfasste.
Unter den vielen aufschlussreichen Tipps und Materialien erwies sich ein Hinweis aus Selb als besonders hilfreich: Die ehemalige Bayerische Grenzpolizeistelle Selb habe die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Freiheitszug im dienstlichen Schriftverkehr und in Berichten dokumentiert, und diese Unterlagen gebe es noch. Beim Studium dieser Unterlagen, die in die Bestände des Staatsarchivs Bamberg eingegangen sind, zeigte sich, dass sie eine Fülle präziser Daten enthalten. Federführend war bei jenen Aufzeichnungen Grenzjägeroberkommissar Erwin Wagner gewesen. Durch den Kontext, in dem die Schriftstücke entstanden sind – als dienstliche Mitteilungen unmittelbar am Ort und zur Zeit der dokumentierten Vorgänge – sind es sachliche Darstellungen von hoher Aussagekraft.
Nach der Wiedereröffnung der Bahnstrecke Eger / Cheb – Hof an der Saale im Dezember 2015 gedachte man in Tschechien noch des 65. Jahrestages der Zugflucht im September 2016, danach schlummerte die Erinnerung an den Freiheitszug wieder ein. Bis nun in diesem Jahr der 70. Jahrestag dieses denkwürdigen Ereignisses nahte, das mittlerweile in Tschechien fest im kollektiven Gedächtnis verankert ist. Erneut wurde der Wunsch nach mehr Informationen über den Freiheitszug an mich herangetragen. Da ich aufgrund meiner Sprachkenntnisse und Recherchemöglichkeiten sowohl auf die tschechischen und deutschen, aber auch auf englisch-sprachige Materialien über den Freiheitszug zurückgreifen kann, beschloss ich im Frühling, mich dieser Aufgabe zu stellen und eine deutschsprachige Website über den Freiheitszug zu gestalten. – Nicht zuletzt, um die vielen Hinweise und Materialien, die im Laufe der Jahre zusammengekommen sind und die ich sehr zu schätzen weiß, auszuwerten, zu verarbeiten und zu kommunizieren. Die vorliegende Website www.freiheitszug-vlak-svobody.org ist das Ergebnis mehrerer Monate systematischer und gewissenhafter Arbeit.
Biographische Notiz
Geboren in Korneuburg, Niederösterreich. Nach einer kaufmännischen Ausbildung an einer fünfjährigen Handelsakademie mit Vollabitur studierte ich an der Universität Wien Slawistik mit den Fachrichtungen tschechische und russische Sprache und Literatur. Ergänzend dazu absolvierte ich Vorlesungen und Seminare aus deutscher Sprache und Literatur. Nach dem Studium unterrichtete ich Tschechisch an den Instituten für Slawistik sowie Dolmetscher- und Übersetzerwissenschaft der Universität Wien. Danach war ich zehn Jahre lang in Prag berufstätig. Während dieser Zeit, vom November 1990 bis November 2000, stand ich in einem Angestelltenverhältnis mit einer Dienststelle des österreichischen Wissenschafts-Ministeriums. Die ersten fünf Jahre war ich Lehrkraft an der Technischen Universität Prag, danach Geschäftsführerin eines bilateralen staatlichen Programmes zur Förderung von Hochschul- und Forschungskooperationen. Seit November 2000 lebe ich mit meinem Mann in Oberfranken. Hauptberuflich bin ich Übersetzerin und Dolmetscherin. Seit 2008 gestalte ich daneben als ständige freie Mitarbeiterin Berichte und Sendungen für den Tschechischen Rundfunk. Außerdem widme ich mich kontinuierlich dem literarischen Schreiben.
Ausgewählte Publikationen:
Buchveröffentlichungen eigener Lyrik und Prosa:
Prager Motive in Fotos und Poesie. Gedichte von Maria Hammerich-Maier und Kunstfotografien von Stanislav Tůma. Prag: Verlag Kant 2004, ISBN 80-239-3029-X.
Ria Airam (Künstlername): Lucies Männer. Eine böhmische Trilogie. Drösing: Driesch Verlag 2015, ISBN 978-3-902787-33-0.
Ria Airam (Künstlername): Die Wolkenbank, ein weißes Knebeltuch. Lyrik aus dem Golf von Salerno. Mit Aquarellen von Gunter Schmidt. Rehau: Burg Verlag 2016, ISBN: 978-3-944370-48-4.
Ria Airam (Künstlername): Mitteleuropa ist eine Reise wert. Erzählungen. Rehau: Burg Verlag 2019, ISBN: 978-3-944370-93-4.
Ausgewählte Übersetzungen von Belletristik und Fachbüchern:
Hromada, František: Historie chebského divadla. - Egerer Theatergeschichte. Zweisprachige Ausgabe. Deutsche Übersetzung Maria Hammerich-Maier. Cheb: Západočeské divadlo 2011, ISBN: 978-80-254-9904-7.
Ivan Klíma: Stunde der Stille. Deutsch von Maria Hammerich-Maier. Berlin: Transit-Buchverlag 2012, ISBN 978-3-88747-268-9.
Hrabal, Bohumil: Ztracená ulička - Das verlorene Gässchen. Zweisprachige Ausgabe. Deutsche Nachdichtung von Maria Hammerich-Maier. Nymburk: Verlag Kaplanka 2016, ISBN 978-80-87523-13-1.
Lukeš, Zdeněk und Petr Kratochvíl: Architekturführer Prag. Bauten und Projekte 1900 – 2000. Aus dem Tschechischen übersetzt von Maria Hammerich-Maier. Berlin: DOM publishers 2018, ISBN: 978-3-86922-582-1.
Rundfunkbeiträge:
Mehrere einstündige Sendungen sowie fünf- bis zehnteilige Serien in tschechischer Sprache für das sechste Programm des Tschechischen Rundfunks (Český rozhlas 6, stanice Vltava), wie zum Beispiel „Geheimnisvolle Poldi“ („Tájemná Poldi“) über den Wiener Industriellen Karl Wittgenstein, der das Stahlwerk Poldi Kladno gründete, „Rede-Flüsse“ („Řeči a řečiště“) über Peter Huchel und seinen tschechischen Dichterfreund Ludvík Kundera. Zwei dreißigminütige Sendungen in der Sendereihe Guter Wille (Dobrá vůle) des zweiten Programms des Tschechischen Rundfunks (Český rozhlas Dvojka): „Im Labyrinth der tschechisch-deutschen Beziehungen“ („Česko-německým labyrintem“), Erstausstrahlung am 10. Mai 2013, und „Die Freiheit ist anderswo“ („Svoboda je jinde“), Erstausstrahlung am 28. Februar 2015. Zahlreiche Berichte, Reportagen und Interviews mit einer Länge von 8 bis 15 Minuten in deutscher Sprache für Radio Prag, die deutschsprachige Redaktion des Auslandssenders des Tschechischen Rundfunks, wie zuletzt folgende Titel:
Der andere Blick auf Cheb und Waldsassen. Gespräch mit Günther Juba und Marcela Brabáčová über den Bildband „Cheb und Waldsassen“. Erstausstrahlung am 5.10.2020.
Die Egerer Nischen – eine Freilichtgalerie. Gespräch mit Zbyněk Illek über die Bestückung historischer Hausnischen mit neuen Kunstwerken. Erstausstrahlung am 31.10.2020.
Die wunderbare Magie des Waldes. Bericht über die Ausstellung „Geheimnisvoller Wald“ in der Kulturzone Depo2015 in Pilsen. Erstausstrahlung am 10.7.2021.
Chopin zwischen Fontänen und Kolonnaden. Gespräch mit dem Leiter der Chopin-Festspiele Marienbad Ivan Klánský. Erstausstrahlung am 17.8.2021.
Brücken bauen mit Pinsel und Meißel. Reportage vom 12. Europa-Symposium Thurnau. Erstausstrahlung: 11.9.2021.