Orakeln über die Zukunft

Die fünfzehnjährige Schülerin Marie K., die am 11. September mit dem Nachmittagszug vom Unterricht nach Asch zurück fuhr, bekam bereits am Bahnhof Selb-Plößberg mit, dass mehrere Jugendliche erwogen, in Bayern abzuspringen. Marie K. bemerkte, dass sich Schüler des Egerer Gymnasiums bei Beamten der Grenzpolizei in Selb-Plößberg nach den Lebensverhältnissen in Deutschland und den Vereinigten Staaten erkundigten. In Grafenwöhr entschlossen sich dann auch zwei Mitbewohnerinnen ihres Zimmers, nicht mehr in die Tschechoslowakei zurückzufahren. Marie K. hat ihre Erlebnisse aufgezeichnet. Hier ein Auszug:

„Ich war in einem Zimmer zusammen mit zwei Mädchen, die in Deutschland blieben, dann noch mit meiner Mitschülerin V. S. und drei anderen Frauen. Die beiden Mädchen tuschelten unentwegt über irgendetwas, und als ich zu ihnen sagte, dass ich auch gerne mithören würde, sagten sie, das sei nichts für kleine Kinder, und heute kurz vor der Abfahrt sagten sie uns, dass sie in Deutschland blieben. Die eine sagte, ihr Vater sei in Argentinien und sie würde zu ihm fahren, und die beiden ließen sich ihren Entschluss nicht ausreden.

Heute Vormittag teilten die Amerikaner Sportsachen unter uns aus. Am Vormittag kam ein amerikanischer Offizier ins Lager, der uns fragte, ob wir genug zu essen bekämen und gut untergebracht seien. Wir sagten dem Offizier, dass es uns an nichts fehle, dass wir jedoch nach Hause wollten. Daraufhin wurde uns mitgeteilt, man bemühe sich, dass wir so bald wie möglich nach Hause kämen. Gegen Mittag wurden wir versammelt, und man erstellte eine Liste mit den Namen und Geburtsdaten. Einige sagten mir, dass sie nach der politischen Zugehörigkeit ihrer Eltern gefragt worden seien, doch mich hat niemand danach gefragt.

Als ich im Speisesaal war, um meine Daten anzugeben, sah ich, dass die vier Jungs, die in Deutschland blieben, durch den Speisesaal hinter die Küche in irgendeinen Raum gingen, wohin man auch einen Tisch aus dem Speisesaal brachte, und sie kehrten nicht mehr aus diesem Raum zurück. Ich weiß, dass dorthin nur Personen gingen, die in Deutschland zu bleiben beabsichtigten. Als auch die zwei Mädchen, die in Deutschland blieben, aus diesem Raum in unser Zimmer kamen, sagten sie zu uns, dass ihr Entschluss, in Deutschland zu bleiben, feststehe.

Nach dem Mittagessen holten wir unsere Sachen und nahmen in einem Bus Platz, der uns zur Grenze brachte, wo wir den tschechoslowakischen Behörden übergeben wurden.“

[Familienarchiv der Verfasserin]