Dramatische Szenen der Grenzüberfahrt

beobachtet von der jungen Mutter Miluše Dusíková, einem Fahrgast des Freiheitszuges

Miluše Dusíková war an jenem Nachmittag mit dem Zug von Haslau / Hazlov losgefahren, um Besorgungen zu machen. Ihre beiden kleinen Söhne hatte sie in der Obhut ihres Mannes zu Hause gelassen. Miluše Dusíková erzählte ihre Erinnerungen in den 1990er Jahren dem Publizisten Václav Jiřík.

„Ich wohnte damals zusammen mit meinem Mann in Hazlov / Haslau. Ich war auf Mutterschaftsurlaub, der Ältere meiner Söhne war eineinhalb Jahre alt, der Jüngere drei Monate. Mein Mann blieb zu Hause. Ich fuhr nur rasch nach Asch und wollte gleich wieder zurückkehren. Die einzige Person im Zug, die ich kannte, war Ing. Holý aus Kraslice. Er war schon damals ein älterer Herr, bestimmt lebt er nicht mehr. Unter der Eisenbahnbrücke beim Haslauer Bahnhof stand ein schwarzes Auto. Als ich daran vorbeiging, sah ich eine Familie darin. Später hörte ich, dass das Doktor Švec war, ein Arzt aus Asch. Angeblich hatte sein Auto eine Panne, und deshalb musste er es beim Bahnhof zurücklassen. Sie hatten eine Menge Sachen dabei, sie fuhren angeblich in den Urlaub. Ich erinnere mich noch, dass es schön war, ich trug nur einen Pulli. Nach Haslau hielt die Zuggarnitur an, ich hatte den Eindruck, dass sie überflüssigen Dampf ausließen [in Wirklichkeit koppelten Truksa und Konvalinka das Bremssystem ab – Anmerkung von Václav Jiřík].

Ich stand im Gang, und ein junger Mann mit einem dunkelblauen Hemd ging mehrmals an mir vorbei. Der Waggon war bei weitem nicht voll, die Reisenden saßen zu zweit oder zu dritt in den Abteilen. Die meisten waren Patientinnen aus Franzensbad, sie fuhren zum Einkaufen oder auf einen Ausflug nach Asch. Auch Studenten waren da, wahrscheinlich waren sie vom Egerer Gymnasium. Da es kurz nach Mittag war, fuhren die Arbeiter noch nicht von der Arbeit zurück. Kurz vor dem Ascher Bahnhof begann der Zug stark zu beschleunigen. Da stand ich schon bei der Tür und hielt meinen Ausweis in der Hand. Am Bahnhof gab es nämlich regelmäßig Kontrollen. Ich war verärgert weil ich dachte, dass ich ein ziemliches Stück zurückgehen müsste. Da geschahen plötzlich unglaubliche Dinge. Ein mir unbekannter Eisenbahner schrie, dass die Bremsen versagt hätten, und lief los, nachdem er zuerst erfolglos an der Notbremse gezogen hatte, zum Rad der Handbremse. Dort stand der junge Mann in dem dunkelblauen Hemd, er hielt eine Pistole in der Hand und sagte nachdrücklich zu dem Eisenbahner: ‚Keinen Schritt weiter, oder ich schieße!‘.

Als wir auf der deutschen Seite hielten, verließ der junge Mann den Waggon und begann zu dem nahen Wald zu laufen. Das war auf der linken Seite, und auf der rechten Seite stieg ein anderer mir unbekannter Mann aus, er gehörte offenbar auch zu den Entführern, er legte sich auf die Böschung der Trasse und wiederholte mit lauter Stimme immer wieder: ‚Gott sei Dank, wir sind da!‘ Es war ihm anzusehen, dass er mit seinen Nerven am Ende war.“

[4, 200-201]