Erlebnisberichte von Rückkehrern aus Selb-Plößberg
in einer Sendung des Tschechoslowakischen Rundfunks im September 1951
Besonders drastisch schilderte eine slowakische Arbeiterin, die in Karlsbad lebte, ihre Erlebnisse in der Bahnstation Selb-Plößberg. Anna Pubáková war als gewöhnlicher, nichts ahnender Fahrgast im Zug mitgefahren. In einer Sendung des Tschechoslowakischen Rundfunks mit dem Titel „Gespräch mit Bürgern, die am 11.9.1951 von einer Terrorgruppe nach Bayern entführt wurden“, die ungefähr eine Woche nach der Fluchtaktion ausgestrahlt wurde, beschrieb sie die Stunden nach der Ankunft auf dem Bahnhof mit folgenden Worten:
„Da stieg diese Gruppe dieser Terroristen aus, westdeutsche Polizisten empfingen sie, es kamen also westdeutsche Polizisten, die fragten, wer bei ihnen bleiben möchte. Aber keiner ist aus dem Zug ausgestiegen. Dann tauchten Amerikaner mit Maschinengewehren auf, amerikanische Funkwagen, bewaffnete Truppen. Sie schnappten unsere Lokomotive, gaben sie auf ein Abstellgleis und richteten stattdessen das Maschinengewehr auf den Zug. Und jetzt kam eine Gruppe verräterischer Verräter unserer Heimat, von Radio Freies Europa, mit Filmen, ja, die unsere Leute aufnehmen wollten, jetzt ist ihnen das nicht gelungen. Sie suchten uns am Abend, als wir im Zug waren, um uns bei Licht aufzunehmen. Wir haben zur Antwort die geballten Fäuste vor die Augen gehalten und uns unter der Sitzbank versteckt, damit sie uns nicht aufnehmen konnten. Jetzt ging das weiter, das Klagen, das Jammern der Kinder und der Mütter, die ihre Kinder zu Hause gelassen hatten, was mit denen geschehen wird. Und jetzt herrschte Hunger, weil sie uns überhaupt nichts zu essen gaben, erst nach zwölf Uhr in der Nacht vom 11. auf den 12. September ersuchten sie jeden, dass wir unseren Personalausweis zeigen sollten, von dem sie unsere Daten abschrieben, und dann um drei Uhr früh reichten sie ein Frühstück oder ein Mittagessen oder was das war, das unsere Leute meistens ablehnten.“ [2]
Ähnlich beklemmend schilderten in derselben Rundfunksendung noch mehrere andere Rückkehrer die Situation auf der Bahnstation Selb-Plößberg. Ein Schlosser der Werkstatt der Tschechoslowakischen Staatsbahnen in Eger, Jaroslav Hála, der ebenfalls als unbeteiligter Passagier im Zug mitfuhr, fasste seine Eindrücke in folgende Worte:
„Nach der Ankunft besetzte wieder dieser deutsche Zöllner den Zug, und es kamen amerikanische Wagen, drei, ein Funkwagen und zwei Wagen, einfach, mit schweren Maschinengewehren bewaffnete Wagen. Einer wurde vorne aufgestellt, ungefähr 100 Meter seitlich vom Zug, und der zweite fuhr einfach auf die andere Seite, auch ungefähr 100 Meter weit, einfach, um es so zu sagen, sie stellten sich so hin, dass sie uns hundertprozentig im Schussfeld hatten. Na, und wir durften nicht aus dem Zug raus, und dieser deutsche Zöllner ging einfach durch den Zug und forderte uns auf, wer bleiben will, der soll aussteigen. Dort stieg diese Gruppe aus, die verabredet war, die bewaffnete Gruppe, Doktor Švec mit seiner Familie, nicht wahr, Konvalinka, und so weiter, Truksa, und rund sechs oder sieben junge Männer zwischen 20 und 28 Jahren, die stiegen alle aus, und sie wurden einfach gesondert irgendwohin abgeführt, wo sie, wie ich hörte, Erfrischungen, also gleich zu essen bekamen. Wir bekamen das erste Essen erst nach zwölf Stunden, da war es drei Uhr früh, das erste Essen, das wir bekamen.“ [2]
Auszüge aus den Interviews dieser halbstündigen Sendung des Tschechoslowakischen Rundfunks wurden nachfolgend von mehreren Tageszeitungen abgedruckt.
Die Kommunistin Pubáková wurde im Januar 1953 als Zeugin zu dem Schauprozess am Karlsbader Gericht geladen, bei dem mehrere Personen verurteilt wurden, denen man eine Mitwisserschaft oder Mittäterschaft an der Fluchtaktion mit dem Personenzug vorwarf. Über diesen Schauprozess berichteten alle maßgeblichen Massenmedien in der Tschechoslowakei. Bei der gerichtlichen Vernehmung während des Prozesses spitzte Pubáková ihre frühere Aussage über die Bedrohung durch bewaffnete Soldaten noch zu:
„Als wir in Selb ankamen, hielt der Zug, und gleich in diesem Augenblick tauchten Amerikaner auf. Die amerikanische Armee. Und statt der Lokomotive legten sie Maschinengewehre an, und auf allen Seiten unseres Zuges stellten sie dann Männer mit Gewehren auf, mit den Gesichtern zu uns, zum Zug, und keiner durfte aus dem Zug aussteigen.“ [3]
Viele Zugreisende mögen den Aufenthalt auf dem Bahnhof Selb-Plößberg mit anderen Augen und Empfindungen wahrgenommen haben. Sie fanden in den kommunistischen Massenmedien kein Sprachrohr.