Jugend im Dienste der Menschlichkeit
Für Zdenka Hýblová brachte der unfreiwillige Ausflug nach Bayern mit dem entführten Zug die endgültige Gewissheit, dass sie ihr zukünftiges Leben in der freien Welt verbringen wollte. Mit diesem Gedanken hatten sie und einige ihrer Freunde sich schon längere Zeit getragen. Die Tage, die Zdenka Hýblová in Selb-Plößberg und Grafenwöhr zubrachte, überzeugten sie nun vollends, dass sie sich im Westen freier entfalten können würde. „Ich habe gehört, dass man in Kanada sagen kann, was man denkt“, sagte Zdenka Hýblová eineinhalb Monate später Reportern des New Yorker Wochenmagazins Time.
Zunächst kehrte die Schülerin des Egerer Gymnasiums jedoch mit den übrigen gegen ihren Willen über die Staatsgrenze gebrachten Insassen des am 11. September 1951 entführten Personenzuges nach Asch zurück. Die sechzehnjährige Schülerin handelte mit Bedacht. Sich spontan in der BRD abzusetzen, wie es mehrere ältere Mitschüler des Egerer Gymnasiums taten, kam für Zdenka Hýblová nicht in Betracht. Ihr Plan war, sich ihre Zukunft im Westen zusammen mit ihren ebenfalls fluchtbereiten Freunden aufzubauen. Diese wollte sie nicht im Stich lassen. Wenn Zdenka Hýblová also nach Asch zurückkehrte, tat sie dies mit dem festen Vorsatz, die Grenze bald endgültig zu überqueren - zusammen mit ihren Freunden.
Rund drei Wochen nach der Rückkehr aus Grafenwöhr überquerte Zdenka Hýblová dann tatsächlich die grüne Grenze bei Asch zusammen mit dem ebenfalls sechzehnjährigen Kamil Kvapil und der um zwei Jahre älteren Milena Poláčková. Mehrere Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem das Rehauer Tagblatt, schrieben im Herbst 1951, die drei Ascher Jugendlichen seien bereits einige Tage nach der Zugentführung in den Westen geflüchtet; dies entspricht nicht den Tatsachen. Erst der zweite Fluchtversuch, den die drei Freunde wagten, hatte Erfolg. Ein erster Anlauf war zuvor gescheitert. Für die Gründe des Scheiterns gibt es mehrere unterschiedliche Erklärungen. Einem Bericht des Journalisten Bohuslav Pečinka zufolge veranlasste sie beim ersten Fluchtversuch starker Regen umzukehren. Die Time wiederum schrieb, ein verschlüsseltes Pfeifsignal an die Grenzwache habe sie veranlasst, den ersten Fluchtversuch abzubrechen.
Die beherzte Flucht der drei Jugendlichen rückte das Grenzgebiet bei Selb und Asch erneut ins Zentrum der Medien. Der spektakuläre Grenzdurchbruch des Zuges war noch in frischer Erinnerung. Und nun knüpfte daran eine weitere Geschichte an, die der Hauch einer ergreifenden Romanze umwehte! Das Ereignis war wie geschaffen, um an das Mitgefühl der Leser und Hörer zu appellieren. Das Rehauer Tagblatt etwa titelte unter Berufung auf die Münchner Illustrierte am 23. Oktober 1951: "Ein Herz schlug durch den Eisernen Vorhang". Gleichzeitig hoben die Presseberichte die Beschneidung der persönlichen Freiheit in der Tschechoslowakei hervor, zum Beispiel durch die Einschränkungen bei der freien Berufswahl, die Eingriffe in die Presse- und Meinungsfreiheit, aber auch durch die Konsumgüterknappheit.
Das Nachrichtenmagazin Time hatte bereits am 24. September 1951 einen ganzseitigen Bericht über den "Freedom Train" gebracht. Unter dem ironischen Titel "Genosse Bep macht einen Ausflug" ("Comrade Bep Takes a Trip") wird darin der loyale kommunistische Zugführer, dessen reales Vorbild Bém hieß, als einfältiger Hasenfuß geschildert, der neben Truksa und Konvalinka, den souveränen Hauptakteuren der Zugentführung, besonders plump und unbeholfen wirkt. Bep ist ganz in seinem dumpfen, primitiven Leben befangen, nie erlebt er etwas Aufregendes. Am Tag der Zugentführung hat er zwei Körbe mit Obst dabei, die er in Asch abliefern soll. Während des unfreiwilligen Aufenthalts in vermeintlichem Feindesland gerät Bep völlig außer Fassung:
"Am folgenden Tag wurden alle Zuginsassen in ein Lager nach Grafenwöhr gebracht, wo sie gutes Essen bekamen und in sauberer Bettwäsche schliefen – alle mit Ausnahme des Genossen Bep, der grimmig auf dem Fußboden schlief. Als ergebener Kommunist wollte er sich den teuflischen Luxus eines kapitalistischen Bettes nicht gönnen. Sorgen bereitete Bep auch das Obst, für das er verantwortlich war. Er erklärte den US-Offizieren aufgeregt, dass das Obst faulen würde, wenn sie nicht sofort etwas unternähmen. Die Offiziere verteilten das Obst einfach unter den Zuginsassen. Das war für den Genossen Bep fast zu viel. 'Ich habe ein schwaches Herz', jammerte er. 'Ich habe Diabetes – und jetzt bin ich erledigt.' Am folgenden Tag stiegen die 77 Fahrgäste, die sich zur Heimkehr entschlossen hatten, in Busse und fuhren in die kommunistische Tschechoslowakei zurück. Unter ihnen, zitternd und blass, Zugführer Bep, dem nie etwas Aufregendes zu widerfahren schien."
Einen Monat nach diesem ersten Bericht ließ die Time einen einspaltigen Artikel folgen, der die Geschichte des Freedom Train fortschrieb. Unter dem Titel "Ein Pakt mit Pavel" berichtete das Nachrichtenmagazin am 22. Oktober 1951 über die Flucht Zdenka Hýblovás und ihrer Freunde. Die Namen von Zdenka Hýblovás Freunden sind darin abgeändert. Kamil Kvapil wird "Pavel" genannt, Milena Poláčková heißt "Alena". Die Schutzmaßnahme hatte ihren Grund: Die Familien und anderen Kontaktpersonen von Geflüchteten waren in der damaligen Tschechoslowakei in aller Regel Repressalien bis hin zur Strafverfolgung ausgesetzt.
Der Artikel "Ein Pakt mit Pavel" stellt das Motiv einer aufrichtigen Jugendliebe als Beweggrund für die Flucht in den Mittelpunkt. Er hebt hervor, dass persönliche Liebe einen höheren Wert darstelle als die Farce einer durch die Parteiideologie und Propaganda suggerierten kollektiven Liebe zu Gottwald und Stalin. Darüber hinaus wird Zdenka Hýblovás persönliches Dilemma eindrücklich herausgestellt:
"Wurst statt Schokolade. Die tschechischen Rückkehrer, ganz aufgeregt durch den unerwarteten Coup, hatten ihren Rückweg in beschwingter Urlaubsstimmung angetreten. Sie wurden von den GIs fürstlich verabschiedet, die sie mit Schokoriegeln und guten Wünschen überschütteten. Vorsorglich knabberten sie jeden einzelnen Schokoriegel an, in der Hoffnung, dass den tschechischen Zöllnern so der Appetit darauf vergehen würde. Auf der anderen Seite der Grenze standen schon Vertreter der Kommunisten sowie Journalisten Spalier, um sie willkommen zu heißen. 'Ihr müsst so froh sein, dass ihr wieder zurück seid', riefen sie aus, 'nachdem die Amerikaner euch so schrecklich behandelt haben.' 'Ja', sagte einer, 'schrecklich.'Am Sitz der politischen Polizei war ein Buffet angerichtet: Brot ohne Butter, Wurst und eine Flasche Limonade für jeden Rückkehrer. 'Viel besser als amerikanische Schokolade', sagte eine loyale Kommunistin zu Zdenka.
'Ich hatte keine besondere Lust auf diese Wurstbrote', erzählte Zdenka, „daher ging ich zum Wartesaal hinüber. Plötzlich kam Herr Beneš und fragte mich, warum ich so betrübt sei und nichts zu mir nähme. Herr Beneš war mein Lehrer. Er ließ mich vergangenes Jahr durchfallen, weil ich mich weigerte, im Unterricht über die kommunistische Regierung zu lernen. Ich hatte nicht den Mut, ihm zu sagen, dass eben deswegen nichts essen konnte, weil ich zurückgekehrt war, also sagte ich zu ihm, ich sei von der Traurigkeit einer Mutter betroffen, deren Sohn nicht zurückgekommen sei. Er antwortete: ‚Recht so. Wenn sie ihren Sohn zu einem guten Kommunisten erzogen hätte, wäre das nicht passiert. So aber wird ihr Junge nach Korea geschickt werden, um zu sterben.‘
Danach wurde Zdenka von der Polizei vernommen. 'Solltest du einen von denen erblicken, die dort geblieben sind', warnten sie sie, 'gib uns auf jeden Fall Bescheid, denn diese Leute kommen ganz gewiss als Spione zurück.'
Morsezeichen an der Grenze. 'An demselben Tag', fuhr Zdenka fort, 'suchte ich Pavel und Alena auf. Sie hatten nicht erwartet, dass ich zurückehren würde. Wir hatten schon ein Jahr lang über eine Flucht gesprochen, doch wir hatten Angst gehabt, denn man hörte, dass die Amerikaner tschechische Flüchtlinge folterten. Nun konnte ich ihnen berichten, dass das nicht stimmte. Nun konnten wir zusammen fliehen. Drei Wochen lang warteten wir. Ich schlief keine einzige Nacht. Ich stritt mich mit meiner Familie, die wollte, dass ich bleibe, doch an unserem Entschluss war nicht zu rütteln. In einer mondhellen Nacht trafen wir uns alle drei in der Stadt und brachen querfeldein in Richtung Grenze auf. Wir waren knappe 20 Meter von der Grenze entfernt, als jemand eine Botschaft in Morsezeichen an die Grenzwachen zu pfeifen begann. Daher schlichen wir geschwind in die Stadt zurück. Am darauffolgenden Tag schafften wir es.'"
Soweit der Bericht des Wochenmagazins Time.
Schon kurze Zeit nach ihrer Flucht verfasste Zdenka Hýblová tschechische Rundfunkbeiträge für die Münchner Redaktion von Radio Free Europe. Später, als sie sich in den Vereinigten Staaten etabliert hatte, publizierte sie Gedichte und Prosa auf Englisch in verschiedenen Zeitschriften und Sammelwerken, unter anderem im Verlag New Rivers Press. Da war sie schon mit Gilbert Heller verheiratet. Dem Ehepaar wurden zwei Kinder geboren, der Sohn Adam († 2014) und die Tochter Cathy Ama. Zuvor hatte Zdenka Hýblová am Sarah Lawrence College, einer New Yorker Privathochschule für Schöne Künste, das Handwerkszeug des literarischen Schreibens erlernt. Ihre Lyrik und Prosa erschien unter ihrem nunmehrigen Namen Zdena Hyblova Heller. Die literarischen Texte von Zdena Hyblova Heller haben zumeist einen autobiographischen Hintergrund. Sie wirken durch detailgenaue Beschreibungen sehr realitätsnah, obgleich sie aufgrund ihres Charakters einer literarischen Fiktion selbstverständlich nicht als tatsachentreue Lebenszeugnisse gewertet werden können.
1991 erschien die Kurzgeschichte "Resistance" ("Widerstand") von Zdena Hyblova Heller in einem Sammelband mit Prosa tschechischer und slowakischer Exilautoren. Darin beschreibt die Autorin das politische Engagement von Jugendlichen in Asch. Die Hauptpersonen der Erzählung "Widerstand" sind ein Schüler und eine Schülerin eines Gymnasiums, die politische Kampfschriften auf heimlichen nächtlichen Streifzügen in der Stadt verbreiten. Die Geschichte ist in der Ich-Form erzählt, und die Hauptpersonen haben keine Namen. Das legt den Schluss nahe, dass sich die Autorin auf authentische Erlebnisse stützt, auch wenn kein ausdrücklicher Hinweis auf biographische Bezüge vorhanden ist.
Die beiden Hauptfiguren gehören einer Gruppe von sechs im Widerstand aktiven Jugendlichen an. Sie gehen systematisch und umsichtig vor. Nachts dringen sie heimlich in ihre Schule ein, um die illegalen Flugblätter herzustellen. Mit zum Bersten angespannten Nerven schleichen sie dann durch die verlassenen nächtlichen Straßen, tasten sich an dunklen Mauern entlang, hasten von einem finsteren Hauseingang zum nächsten, um nicht von zufälligen Passanten verraten oder von patrouillierenden Polizisten erwischt zu werden. Nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt haben, kommen sie noch einmal in der Schule zusammen, um sich zu vergewissern, dass keiner von ihnen festgenommen wurde. Gegen Morgen stehlen sie sich schließlich übernächtig und frierend auf schaurigen Schleichwegen nach Hause.
Das Mädchen und der Bursche haben es in Zdena Hyblova Hellers Kurzgeschichte übernommen, die illegalen Schriften auf öffentlichen Anschlagtafeln anzubringen. Das Duo ist gut aufeinander eingespielt. Sie ergänzen sich bei jedem Handgriff wie zwei ineinander greifende Zahnräder:
"Heute mache ich den ersten Schritt, ich halte auf das Gewerkschaftsheim zu. Wir schreiten Schulter an Schulter durch die schweigenden, leeren Straßen, vorbei an Gebäuden mit dunklen Fenstern. Ich bin immer sehr angespannt und hellwach bei unseren Missionen, doch das, was ich mache, geschieht automatisch, losgelöst von mir. Eine aufgezogene Uhr tickt und lenkt mich, sie hat mich fest im Griff, bis ich wieder sicher in meinem Bett liege. Wir verstehen uns ohne Worte und arbeiten die meiste Zeit schweigend. Hastig wie ein Dieb schließt du den Infokasten auf und drückst die Vorderseite des Blattes an das Brett, damit ich es anheften kann. Dann heften wir die Rückseite an. Du schließt den Glaskasten, während ich die restlichen Blätter an mich nehme."
Alles geht gut in jener Nacht. Die Geschichte "Widerstand" endet mit einer unverhofften Wiederbegegnung der beiden Protagonisten am frühen Morgen. Gegen vier Uhr läuft die Schülerin durch Gärten hinter Häusern, die von der Straße nicht gesehen werden können, zu ihrem Elternhaus zurück. Das junge Mädchen klettert in der Dunkelheit über einen Zaun und steigt in ein verwildertes Grundstück ein. Da spürt sie, dass jemand in ihrer Nähe ist. Noch bevor die Augen die Gestalt erkennen können, spricht das Herz, und sie weiß plötzlich, dass es ihr Gefährte ist, mit dem sie zuvor die Flugblätter ausgehängt hat. Er ist aufgebracht und stellt seine Schulkameradin zur Rede. Während der verbotenen Aktion waren plötzlich zwei Genossen der kommunistischen Partei in ihrer Nähe aufgetaucht. Er hat sie aufgefordert, sich in Sicherheit zu bringen, doch sie hat nicht auf ihn gehört. Zu stark wirkt ihre wechselseitige Selbstverpflichtung, bei jeder Gefahr einander zu schützen und zu verteidigen.
„'Warum bist du vorhin auf der Straße drüben geblieben? Es war nicht nötig zu riskieren, dass sie uns beide erwischen!'
Es widerstrebt mir genauso wie dir, Abstriche von unseren Ansprüchen zu machen, daher antworte ich nichts. Mein Herz hämmert, doch während wir uns schweigend gegenüberstehen, wird mir bewusst, dass meine Füße vor Kälte taub sind und die Zehen schmerzen.
'Kalt?', fragst du.
'Was denkst du denn!'
Ich gebe nicht einfach klein bei! Ich bin tapfer! Ich bin das einzige Mädchen in der Gruppe, und ich halte mehr aus als alle anderen zusammen. Doch dann lenke ich ein.
'Ja', sage ich weich.
Du trittst hinter mich, schlingst deine Arme um mich, presst dein Gesicht zwischen meine Schultern, und ich fühle deinen heißen Atem im Nacken. Das hilft! Die Hitze breitet sich in meinem Körper aus, für einen Moment vertreibt sie die schmerzende Kälte, doch dann beginne ich zu zittern.
Du ziehst mich am Mantelkragen an dich, und ich spüre es warm auf meinen Lippen.
Verdutzt hebe ich den Blick zum wundervoll sternenreichen Himmel. Mein Herz stockt, die Zeit steht still. Nichts existiert mehr, bis auf die glitzernden Sterne und der flüchtige Abdruck sanfter Wärme auf meinen Lippen. Als mir bewusst wird, dass das ein Kuss war, bist du schon fortgerannt."
Soweit die Erzählung "Widerstand".
2002 erschien im Verlag des New Yorker Sarah Lawrence College Zdena Hyblova Hellers Lyrikband "There will be Summers".
In den Gedichten finden sich zahlreiche Reminiszenzen und Anklänge an die Kindheit und Jugend der Autorin in der Tschechoslowakei. Die verlorene Heimat, die Zdenka Hýblová nach ihrer Flucht nahezu vier Jahrzehnte nicht besuchen konnte, schwang in ihrem Herzen nach und hörte nie auf, sie zu beschäftigen. Selbst zu ihrer Familie konnte Zdenka Hýblová nur sehr eingeschränkt aus der Ferne Kontakt halten. Ihre Mutter sah sie erst 1981 bei einem Besuch in den Vereinigten Staaten wieder. Das sehnlich erwartete Wiedersehen fand seinen Niederschlag in bewegenden Versen:
"Die Zollschleuse entlässt eine kleine
Frau, die meine Augen nicht erkennen,
doch mein Herz stürzt
an die Stäbe des Käfigs, und so
- nach dreißig Jahren Trennung -
weiß ich, dass es meine Mutter ist",
heißt es in dem Gedicht „1981“. Das Motiv, dass das Herz etwas erahnt, noch bevor es die Augen erkennen, kehrt in Zdena Hyblova Hellers Gedichten und Prosatexten immer wieder. Die intuitive Erkenntnis ist eine mächtige Stütze des subjektiven, moralischen Urteils. In Zdena Hyblova Hellers Versen spiegeln sich Sehnsüchte und Visionen, aber auch Angst, Schmerz und Verlassenheit, wie beim Abschied der Mutter:
"Ich liege in ihrem unveränderten Bett
und blicke in das leere Geviert
des grauen Februarhimmels
als raue Schreie bersten
überm Dach - Wildgänse."
Die kreischenden Schreie der Wildgänse bringen einen Hoffnungsschimmer in der Eiseskälte des einsamen Morgens. Die Mutter ist am Vortag abgereist. Aber hat sie nicht einmal gesagt, Wildgänse brächten Glück ins Haus?
Manche poetischen Bilder korrespondieren mit inneren Zuständen. Vertraute Düfte etwa rufen eine Vorstellung von Geborgenheit hervor. Himmelserscheinungen gewähren Deutungshilfen für subjektive Erfahrungen. Die Zeichen des Himmels sind dabei vielfältig, sie können verheißungsvoll, furchteinflößend oder tröstlich sein. So schwebt nasser Schnee vom Himmel, als die Wehrmachtstruppen im März 1939 in Prag einrücken und die Maschinengewehre bedrohlich zum Himmel aufragen - eine frühkindliche Erfahrung der Autorin. Doch der Himmel ist auch eine Quelle von Schutz. Er möge Daunen aus seinem aufgeschlitzten Federbett herabrieseln lassen, um die gräulichen Trugbilder einzuhüllen, die nicht weichen möchten, heißt es in einem anderen Gedicht. Der Schutz, um den das lyrische Subjekt in kindlichem Vertrauen bettelt, ist gleichwohl ephemer. Ein einziger Atemzug, der eine Feder hochpustet, würde ihn vertreiben, und dann würden die unheimlichen Gestalten erneut die Hälse recken. Unwillkürlich denkt man beim Lesen dieser Verse an traumatisierende Gefahrensituationen, die Zdenka Hýblová erlebt haben mag. Die Botschaft lautet: Es gilt wachsam zu sein und standhaft zu bleiben, nur so können die Schreckensgespenster gebannt, nur so kann die reale Bedrohung, für die sie stehen, abgewehrt werden:
"Sie kauern in leeren Ecken
gähnend mit riesigen offenen Mündern
die Unbekannten, ihre traurigen Augen
schauen, schauen und verfolgen. Ich
darf den Blick nicht abwenden."
Der wachsame, die Situation durchdringende Blick bezwingt die lauernde Gefahr. Untrügliche Erkenntnis ist ebenso existentiell notwendig wie der lebensspendende Atem. Diese Säulen der Selbstbestimmtheit und persönlichen Integrität wollen aber auch gezügelt sein. Unbedacht eingesetzt, können sie sich als verräterisch erweisen. Dies wird in einer Episode der Erzählung "Widerstand" deutlich, als plötzlich zwei Funktionäre der kommunistischen Partei auftauchen.
"Kurz darauf sind die zwei Männer über uns, sie steigen hinauf, nur einen Fuß entfernt. Ich schließe meine Augen, damit der weiße Schimmer sie nicht auf uns aufmerksam macht, und halte den Atem an."
Ein Gefühl von Ohnmacht und schutzloser Auslieferung meldet sich hingegen, wenn die sprachliche und nichtsprachliche Kommunikation zwischen Menschen blockiert ist. Wenn Blicke sich kreuzen, ohne dass die sich begegnenden Personen einander wahrnehmen – weil sie von Angst beherrscht werden, im Vorurteil befangen sind, wenn Hass sie verblendet oder irrwitzige Vorhaben sie leiten, wie im Gedicht „Ein Morgen in Prag: März 1939“:
"Menschen betrachten die Soldaten,
die Soldaten starren die Menschen an,
ihre Augen begegnen sich nicht."
Die Geburtsstadt Prag mit ihrem bläulichen Nachthimmel lebt in Zdena Hyblova Hellers Versen – mit einem berühmten poetischen Bild Franz Kafkas – als "Mütterchen mit Krallen" fort. Sie hat ihrem Gedächtnis unauslöschliche Eindrücke eingeprägt. Die Goldene Stadt mit ihren unzähligen Türmen bleibe ihren Einwohnern anderseits auch etwas schuldig, beklagt die Autorin. Sie schmücke ihre Wangen mit einer goldenen Kriegsbemalung und gaukle ihren Kindern einen Wahlspruch vor, den sie niemals einlöse:
"Ich wurde geboren, um in den Ruf ihrer
Kinder einzustimmen: DIE WAHRHEIT SIEGT
Ja, und diese Lüge verteidige ich immer noch."
In der Kurzgeschichte "Step inside a Dark Room" ("Tritt in einen dunklen Raum") bekommt ein kleines Mädchen mit, dass Kinder aus der Nachbarschaft in Konzentrationslager verschleppt wurden.
Sylvie ist allein mit den SS-Männern, und sie haben Totenköpfe und gekreuzte Knochen auf ihren Uniformen, und sie weiß nicht, wohin sie fährt, und sie kann ihre Eltern nicht finden, und diese können sie nicht finden und alles ist -
Das Mädchen vertraut seine Erlebnisse einem älteren Mann aus der Nachbarschaft an, der es manchmal auf Spaziergänge mitnimmt:
„'Hast du Angst, getötet zu werden?'
'Nee! Ich habe überhaupt keine Angst. Aber meine Freundin Sylvie hat echt Angst. Wenn du Sylvie kennen würdest – sie ist nie schlimm, sie prügelt sich mit niemandem, sie streitet nicht einmal, sie wehrt sich selbst dann nicht, wenn jemand sie angreift, und doch wurde sie ins Gefängnis geschickt.'
Sie sagte nicht 'Konzentrationslager', denn dann hätte er womöglich aufgehört, mit ihr zu reden."
Der großväterliche Mentor erklärt dem Mädchen, wie es seine uneingestandenen Ängste bewältigen könne:
„'Stell dir einen Ort, an dem du dich fürchtest, so vor, wie er bei Tag aussieht. Es ist derselbe Ort, kein Grund zur Angst. Tritt in den dunklen Raum und bekämpfe die Angst.'“
Das kleine Mädchen muss sich mit sprachlichen Tabus ebenso auseinandersetzen wie mit unberechenbaren Einbrüchen einer obskuren und ihm unbegreiflichen fremden Macht. Der Vater habe ihm eingeschärft, nur mit Familienmitgliedern und anderen vertrauenswürdigen Personen über Politik zu reden, erklärt das Mädchen in der Erzählung. Nach göttlicher und irdischer Gerechtigkeit zu fragen, ist ebenfalls tabu. Die Erzählung endet mit einem gut gemeinten Rat:
„Noch etwas: Rede mit niemandem über Gott und diese Kinder und solche Sachen. Heb dir das für unsere Gespräche auf. Denk daran, dass du meine kleine Philosophin bist und dass das unser Geheimnis ist.“
Durch ihre Kindheitserfahrungen in Prag entwickelte Zdenka Hýblová ein Bewusstsein für zivile Verantwortung, das sich in ihrem späteren politischen Engagement fortsetzt. Sie bekommt die Gräuel der nationalsozialistischen Besatzung mit und reift unter den bürgerkriegsähnlichen Zuständen nach dem kommunistischen Putsch vom Februar 1948 heran. Leidvolle Erfahrungen vieler Menschen in ihrer Lebensumgebung bleiben ihr nicht verborgen. Das Kind hat Mühe, das Unbegreifliche zu bewältigen; die Jugendliche leitete Grundsätze für ihr persönliches Verhalten daraus ab. Zuweilen hat Zdenka Hýblová ihrem zivilen Pflichtbewusstsein selbst ihre persönlichen Beziehungen unterordnet.
In dem bereits zitierten Gedicht "1981" äußert die Tochter ein paar Verse weiter: „Ich bin zu schwer für dich, Mutter“, während die Mutter erwidert: „Nein, nein, bleibe wo du bist, mein Kind“. Die Verse deuten eine Episode aus der Kindheit der Autorin um: die erneut schwangere Mutter verweist das Töchterchen, das Geborgenheit sucht, von ihrem Schoß. Diese Szene hält das Gedicht "1941" fest. Vierzig Jahre später hat sich das Verhältnis der beiden Frauen gewandelt. Die Tochter hat sich von der Mutter innerlich entfernt, und zwar aus freien Stücken; sie ist ihrer gefühlten Berufung gefolgt. Die Mutter versöhnt sich schließlich mit dem Unvermeidlichen.
Die erwachsene Zdenka Hýblová machte es zu ihrem Grundsatz, mit dem ganzen Gewicht ihrer Persönlichkeit für ihre Überzeugungen einzustehen.