Selb-Plößberg im Fokus der Weltpresse

Der Ansturm von Berichterstattern für die Massenmedien versetzte die in Selb-Plößberg gestrandeten Tschechoslowaken in eine heikle Lage. Jede Erwähnung in einem westlichen Medium konnte sie in den Verdacht mangelnder Loyalität gegenüber dem kommunistischen Staat bringen und Sanktionen nach sich ziehen. Die politischen Flüchtlinge wiederum mussten befürchten, dass ihre in der Tschechoslowakei zurückgebliebenen Familien und Freunde Repressionen ausgesetzt würden. Karel Ruml war sich dieser Gefahr bewusst, er bat daher um Schutz vor den Journalisten. In seinem Erinnerungsbuch „Aus dem Tagebuch des Freiheitszuges“ schreibt er:

„Dort [in Selb-Plößberg] erwarteten uns einige amerikanische Offiziere, denen ich unser schier unglaubliches Unterfangen erneut beschrieb. Sie wirkten sympathisch, daher ersuchte ich sie, mich vor den Journalisten abzuschirmen, die von allen Seiten zum Bahnhof zu strömen begannen. Am meisten fürchtete ich die Fotografen und Filmberichterstatter, die mit einsatzbereiten Kameras herumschlichen. Die Amerikaner hielten Wort und führten diejenigen von uns, die nicht fotografiert werden wollten, außer Sichtweite.“ [7, 119]

Rumls Familie hörte zu Hause heimlich Radio Freies Europa. Karel Ruml vertraute seiner Mutter vor der Abreise an, dass eine "große Fluchtaktion" geplant sei, über die Radio Freies Europa sicher berichten würde, falls sie gelang. Seine Mutter versprach ihm, dass sie ihn in diesem Fall bei der Polizei als vermisst melden würde; als Erklärung würde sie angeben, dass ihr Sohn in letzter Zeit depressiv gewesen sei und wahrscheinlich Selbstmord verübt hätte. Karel Ruml wiederum versprach seiner Mutter, dass er seine Identität im Exil möglichst lange geheim halten würde.

An die Beamten der Grenzpolizeistelle Selb wurden ebenfalls Bitten um Schutz vor der Presse herangetragen. Erwin Wagner beriet sich deswegen am Vormittag des 12. Septembers über den Fernschreiber mit seinem Vorgesetzten Kirschberg vom Grenzpolizeikommissariat Marktredwitz über den Umgang mit den Medienberichterstattern:

„Zur Zeit ist ein weiterer Bildberichter von einer amerikanischen Wochenschau hier. Wie steht es mit diesem Mann?“
„Die Pressevertreter sind nicht zuzulassen. Der Bildberichterstatter kann wohl Aufnahmen machen, es muss aber verhindert werden, dass er die Leute irgendwie ausfragt.“
„Die Flüchtlinge haben Bedenken wegen eventueller Repressionen, die ihre Verwandten bei Veröffentlichung der Bilder erleiden können.“
„Dann ist auch dem Bildberichterstatter die Aufnahme von Bildern zu verweigern.“
„Auch dem Herrn der amerikanischen Wochenschau nicht [gestatten]?
„Auch dem nicht.“
„Ist in Ordnung, Herr Inspektor. Ich werde die Leute sofort aus meinem Büro verweisen.
„Richtig.“
„Ich danke vielmals.“
[1, K99, Nr. 182]

Einige Schüler des Egerer Gymnasiums gaben Reportern von Radio Freies Europa Interviews, die von der Münchner Hauptniederlassung dieses US-Senders nach Selb-Plößberg gekommen waren. Dass dies in der kommunistischen Tschechoslowakei Sanktionen nach sich ziehen würde, die ihre Zukunftsaussichten dauerhaft beeinträchtigen könnten, wurde ihnen erst nachträglich bewusst. Vier Gymnasiasten der letzten Klasse entschlossen sich schließlich, nicht mehr in die Tschechoslowakei zurückzukehren.