Das Projekt
Ein kleiner Junge blickt gespannt aus dem Küchenfenster seines Elternhauses im oberfränkischen Selb. Er beobachtet sonderbare Vorgänge. In dem mehrstöckigen Gebäude gegenüber gehen fremde Menschen aus und ein. Es ist das Heim der Ortsgruppe des Roten Kreuzes. Manchmal stehen die Menschen auf dem Platz hinter dem Haus zusammen und unterhalten sich. Dabei werden sie von Polizisten bewacht. Es sind Männer und Frauen, auch einige Jugendliche sind darunter. Der Junge, er heißt Hans-Joachim, hat von seinem Vater erfahren, dass die Menschen am Vortag mit einem Zug aus der Tschechoslowakei gekommen sind. Er hat die mächtige Dampflok mit dem roten Stern und den vier Waggons in der Bahnstation Selb-Plößberg auch schon gesehen. Eigentlich verkehren aber seit dem Krieg gar keine Passagierzüge mehr auf der Bahnstrecke zwischen Asch / Aš und Selb-Plößberg, denn die beiden Orte trennt der Eiserne Vorhang. Hans-Joachim möchte mehr über den geheimnisvollen Zug erfahren. Doch sein Vater, ein Beamter der Bayerischen Grenzpolizei, gibt sich wortkarg. Er weiß selbst nichts Genaueres, denn um den brisanten Grenzvorfall kümmern sich Offiziere der US-Besatzungsmacht.
Hans-Joachim Goller 2021 neben seinem Elternhaus gegenüber vom ehemaligen
Rot-Kreuz-Heim (im Hintergrund)
Am 11. September 2021 sind 70 Jahre seit der Gruppenflucht tschechoslowakischer Bürger mit dem Personenzug Eger / Cheb – Asch / Aš über die Grenze nach Bayern vergangen. Für diese einzigartige Fluchtaktion hat sich der prägnante Ausdruck „Freiheitszug“ eingebürgert. Die Mysterien, die diese außergewöhnliche Flucht mit Hilfe der Umleitung eines ganzen Passagierzuges ins westliche Ausland umhüllten, sind mittlerweile weitgehend geklärt, wenn auch nicht vollständig. Zahlreiche Studien, Berichte und Reportagen, Dokumentarfilme und Rundfunksendungen sind über den Grenzdurchbruch des Passagierzuges veröffentlicht worden, dessen Fahrt in Selb-Plößberg endete. In Tschechisch, Deutsch, Englisch und anderen Sprachen. Besonders seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der damit verbundenen Meinungs- und Forschungsfreiheit konnten die Hintergründe und der genaue Ablauf der Fluchtaktion erschlossen worden. Die vorliegende Website gibt eine umfassende Darstellung dieses dramatischen zeitgeschichtlichen Ereignisses im tschechisch-deutschen Grenzraum. Die Website ist um größtmögliche Objektivität bemüht. Sie will auch behutsam vorgehen, denn mit dem Freiheitszug sind bewegende Menschenschicksale verbunden.